Es ist ein unscheinbarer Videocall. Der Filmemacher Cullen Hoback spricht mit dem Verschwörungstheoretiker Ron Watkins über dessen Rolle bei der Verbreitung von Trumps Wahlbetrugsvorwürfen. Da rutscht es Watkins heraus:
“Das waren im Grunde drei Jahre Geheimdiensttraining: Normalos beibringen, wie man Geheimdienstarbeit macht. Das war im Grunde das, was ich davor schon anonym getan habe”, sagt Watkins. Als er seinen Ausrutscher bemerkt, schiebt er schnell noch hinterher “… aber niemals als Q” und lächelt nervös.
Hoback beginnt daraufhin laut zu lachen. Ron muss ebenfalls lachen und richtet die Handykamera von seinem Gesicht weg, während er versucht, sich wieder zu fassen. “Niemals als Q. Versprochen”, sagt er. Und dann noch einmal betont ernst und direkt in die Kamera: “Denn ich bin nicht Q.”
Der Dokumentarfilmer Hoback hatte Ron Watkins und seinen Vater Jim drei Jahre lang für seine Dokuserie Q: Into the Storm in den Philippinen, Japan und den USA begleitet. Die Watkins sind Besitzer und Administratoren des Imageboards 8kun, früher 8chan, auf dem Q seine Posts veröffentlicht.
Rons Ausrutscher war das große Finale von Hobacks sechsteiliger Dokuserie, die den bislang umfassendsten Einblick in die Geschichte und Entwicklung von QAnon liefert – von den Anfängen im Oktober 2017 auf 4chan über den Wechsel zu 8chan Anfang 2018 und schließlich 8kun, wie 8chan heute heißt.
QAnon-Follower glauben, dass Q ein oder mehrere Insider der US-Regierung mit engen Beziehungen zur Trump-Regierung sei. In beinahe 5.000 Posts hat Q vermeintliche Geheimdienstinformationen geteilt – zuerst auf 4chan, aber vor allem auf 8chan.
Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die QAnon-Community jetzt in heller Aufregung ist. War Q all die Jahre doch kein Regierungsmitarbeiter mit hohen Sicherheitsbefugnissen, sondern nur der Administrator einer nischigen Website, die vor allem für misogyne, rassistische und antisemitische Inhalte bekannt ist? Tatsächlich wird in der Bubble kaum über das Interview gesprochen.
Weder in den öffentlichen Kanälen der bei Rechten beliebten Plattformen Gab und Parler, noch in QAnon-Foren wie The Great Awakening wird wirklich über das Interview diskutiert. Auch auf Telegram, wo Hunderttausende QAnon-Anhänger kommunizieren, sind die Enthüllungen kein großes Thema.
Wird das Interview doch mal angesprochen, wird abgetan, dass Watkins hinter Q stecken könnte. “Q ist eine Gruppe genialer Militärgeheimdienstler mit sehr hohen Sicherheitsbefugnissen. Keine Chance, dass Ron Q ist oder direkt in die ganze Sache involviert ist”, schreibt zum Beispiel ein User im Great-Awakenig-Forum.
Watkins selbst war einer der wenigen, die die Dokumentation erwähnt haben. Ein paar Stunden vor der Ausstrahlung der letzten Folge der Serie schrieb er seinen 150.000 Telegram-Followern eine Nachricht: “Kleine Erinnerung: Ich bin nicht Q.”
Trotzdem schafft es Hobacks sechsstündige Dokuserie ziemlich überzeugend zu zeigen, dass Ron Watkins mit sehr hoher Wahrschenlichkeit hinter Q steckt.
Bis zu Q: Into the Storm gab es sehr wenige Videoaufnahmen von Watkins. Hoback schaffte es im Laufe der drei Jahre jedoch, beachtlichen Zugang zu Ron und Jim Watkins zu kriegen. Er filmte sie auf ihrem Schweinehof in den Philippinen, in Japan, wo Ron heute lebt, und in den USA bei Jims Versuchen, 8chan wieder online zu kriegen, nachdem die Seite 2019 abgeschaltet worden war.
Hoback zeigt Ron Watkins dabei, wie er mit einem Vorschlaghammer einen Berg hinaufrennt und Mitten in der Nacht Opern singt, aber er erwischt ihn auch immer wieder bei widersprüchlichen Aussagen zu QAnon. Einmal sagt er, dass er nichts über die Bewegung wisse, ein andermal gibt er einen detaillierten Einblick in die Entwicklung der Verschwörungstheorie.
An einem Punkt versucht Watkins sogar, den Dokumentarfilmer auf eine falsche Fährte zu führen. Er behauptet, Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon sei Q. Dazu liefert er “Beweise” von der 8kun-Website, die suggerieren, dass QAnon-Posts in der Nähe von Bannons Wohnort erstellt wurden.
Vor allem hat Hobacks Dokumentation bewiesen, was viele QAnon-Expertinnen und Experten bereits vermutet hatten: dass Ron und Jim Watkins die Weichensteller für Q waren und dass zumindest ohne ihre Hilfe, die Person oder Personen, die behaupten Q zu sein, nicht ihre Updates hätten posten können.
“Einige der Beweis gab es schon lange und andere hat Hoback entweder selbst entdeckt oder zusammengesetzt”, schreibt Mike Rothschild, ein QAnon-Experte, auf der Website Daily Dot.
“Aber alle führen zurück zum gleichen Punkt: Dass es sehr wenige andere Menschen gibt, die Q-Drops gemacht haben können, außer denen, die den Laden geschmissen haben, wo sie gepostet wurden. QAnon kann ohne die Waktins nicht existieren und 8kun würde ohne die Q-Anhängerinnen und Anhänger wahrscheinlich auch nicht existieren.”
Bei allen Enthüllungen kann die Dokumentation nicht alle Fragen zu QAnon beantworten. Bislang weiß niemand, wer als erstes als Q auf 4chan gepostet hat, bevor Watkins mit dem Wechsel zu 8chan die Kontrolle übernahm.
Vor allem erfahren wir in der Dokumentation nicht, was uns bei QAnon in Zukunft erwartet.
Q hat seit vier Monaten nichts mehr gepostet und beide Watkins haben zu Hoback gesagt, dass die Posts wahrscheinlich nach der US-Präsidentschaftswahl 2020 enden würden. In dem entstandenen Vakuum haben einige Influencer versucht, die Kontrolle zu übernehmen, bislang befindet sich QAnon allerdings in einer Übergangsphase.
Die Verschwörungsbewegung hat weltweit Millionen Follower und viel Schaden angerichtet. Nicht nur spielte sie eine zentrale Rolle bei den Ausschreitungen am US-Kapitol im Januar, sie spaltet ganze Familien. Trotz zahlloser falscher Vorhersagen, Trumps Wahlniederlage und der aktuellen Enthüllungen sieht es nicht so aus, als würde QAnon bald wieder in der Versenkung verschwinden.